Kurzbeschreibung

Dieses kämpferische Schriftstück dokumentiert die anti-rationalistische Reaktion, welche im späten 18. Jahrhundert an Stoßkraft gewann. Gleichzeitig jedoch erweiterte es das Prinzip der religiösen Gleichheit und Toleranz über die früheren Grenzen hinaus und schloss explizit „die jüdische Nation“ und pazifistische protestantische Konfessionsangehörige ein. Es brachte eine Gegenreaktion in Preußen gegen die Konfessions- und Zensurpolitik des friderizianischen Regimes zum Ausdruck, das spekulatives, aufklärungsfreundliches Gedankengut ermutigt und abgeschirmt hatte. Es rief Proteste von innerhalb und außerhalb der Regierung aus und scheiterte bei dem Versuch, die christliche Orthodoxie nach der eigenen Vorstellung neu zu schaffen.

Religionsedikt von Johann Christoph von Wöllner, preußischer Justizminister und Chef des geistlichen Departements in religiösen Angelegenheiten (9. Juli 1788)

  • Christoph von Wöllner

Quelle

Wir Friedrich Wilhelm, von Gottes Gnaden

König von Preußen etc.

Thun kund und fügen hiermit jedermann zu wissen, daß, nachdem Wir lange vor Unserer Thronbesteigung bereits eingesehen und bemerket haben, wie nöthig es dereinst seyn dürfte, nach dem Exempel Unserer Durchlauchtigsten Vorfahren, besonders aber Unsers in Gott ruhenden Grosvaters Majestät, darauf bedacht zu seyn, daß in den preußischen Landen die christliche Religion der protestantischen Kirche in ihrer alten ursprünglichen Reinigkeit und Aechtheit erhalten, und zum Theil wieder hergestellt werde, auch dem Unglauben, eben so, wie dem Aberglauben, mithin der Verfälschung der Grundwahrheiten des Glaubens der Christen, und der daraus entstehenden Zügellosigkeit der Sitten, so viel an Uns ist, Einhalt geschehe; und dadurch zugleich Unsern getreuen Unterthanen ein überzeugender Beweis gegeben werde, wessen sie in Absicht ihrer wichtigsten Angelegenheit, nämlich der völligen Gewissensfreiheit; der ungestörten Ruhe und Sicherheit bei ihrer einmal angenommenen Confession und dem Glauben ihrer Väter, wie auch des Schutzes gegen alle Stöhrer ihres Gottesdienstes und ihrer kirchlichen Verfassungen, zu Uns, als ihrem Landesherrn, sich zu versehen haben, Wir nach bisheriger Besorgung der dringendsten Angelegenheiten des Staates und Vollendung verschiedener nöthigen und nützlichen neuen Einrichtungen; nunmehro keinen fernern Anstand nehmen, an diese Unsere anderweitige wichtige Regentenpflicht ernstlich zu denken, und in gegenwärtigen Edict Unsere unveränderliche Willensmeinung über diesen Gegenstand öffentlich bekannt zu machen. Als

§ 1. befehlen, wollen, und verordnen Wir demnach, daß alle drei Hauptconfessionen der christlichen Religion, nämlich die Reformirte, Lutherische und Römischkatholische, in ihrer bisherigen Verfassung, nach den von Unsern gottseligen Vorfahren vielfältig erlassenen Edicten und Verordnungen, in Unsern sämmtlichen Landen verbleiben, aufrecht erhalten und geschützt werden sollen. Daneben aber

§ 2. soll die den preußischen Staaten von die her eigenthümlich gewesene Toleranz der übrigen Secten und Religionspartheien, ferner aufrecht erhalten, und Niemanden der mindeste Gewissenszwang zu keiner Zeit angethan werden, so lange ein jeder ruhig als ein guter Bürger des Staates seine Pflichten erfüllet, seine jedesmalige besondere Meinung aber für sich behält, und sich sorgfältig hütet, solche nicht auszubreiten, oder andere dazu zu überreden, und in ihrem Glauben irre oder wankend zu machen. Denn da jeder Mensch für seine eigene Seele allein zu sorgen hat, so muß er hierinn ganz frei handeln können, und nach Unserm Dafürhalten hat ein jeder christlicher Regent nur dahin zu sehen und dafür zu sorgen, das Volk in dem wahren Christenthum treu und unverfälscht durch Lehrer und Prediger unterrichten zu lassen, und mithin einem Jeden die Gelegenheit zu verschaffen, selbiges zu erlernen und anzunehmen. Ob ein Unterthan nun aber diese gute, ihm so reichlich dargebotene Gelegenheit zu seiner Ueberzeugung nutzen und gebrauchen will oder nicht, muß seinem eigenen Gewissen völlig frei anheim gestellet bleiben.

Die in Unsern Staaten bisher öffentlich geduldeten Secten sind, außer der jüdischen Nation, die Herrenhuter, Mennonisten und die böhmische Brüdergemeine, welche unter landesherrlichem Schutz ihre gottesdienstlichen Zusammenkünfte halten, und diese dem Staate unschädliche Freiheit ferner ungestöhrt behalten sollen. In der Folge aber soll Unser geistliches Departement dafür sorgen, daß nicht andere, der christlichen Religion und dem Staate schädliche Conventicula unter dem Namen gottesdienstlicher Versammlungen, gehalten werden, durch welches Mittel allerlei der Ruhe gefährliche Menschen und neue Lehrer, sich Anhänger und Proselyten zu machen, im Sinne haben möchten, wodurch aber die Toleranz sehr gemißbraucht werden würde. []

§ 5. So sehr Uns das Proselytenmachen bei allen Confessionen zuwider ist, indem es allerlei verdrießliche Folgen bei der Volksmenge haben kann, so angenehm ist es Uns dagegen zu sehen, daß die Geistlichkeit sowohl, als Personen weltlichen Standes, sie seyn reformirte, lutherische oder römischkatholische Glaubensgenossen, dennoch bisher verträglich und brüderlich, in Absicht ihrer Religion, mit einander gelebt haben: Wir ermahnen sie daher, diese gute Harmonie, untereinander sorgfältig zu bewahren, und werden niemals entgegen seyn, wenn die verschiedenen Confessionen sich, in Absicht ihrer Kirchen und Bethäußer zu Haltung des öffentlichen Gottesdienstes, oder auf andere Weise, einander hülflose Hand bieten, sondern es wird Uns sothane Verträglichkeit vielmehr allezeit zum besondern Wohlgefallen gereichen.

§ 6. Wir verordnen zugleich, daß bei der reformirten sowohl, als der lutherischen Kirchen, die alten Kirchen-Agenden und Liturgien ferner beibehalten werden sollen; nur wollen Wir bei beiden Confessionen nachgeben, daß die damals noch nicht ausgebildete teutsche Sprache darinn abgeändert, und mehr nach dem Gebrauch der jetzigen Zeiten eingerichtet werde. Desgleichen einige alte ausserwesentliche Ceremonien und Gebräuche abgestellt werden; als welches Unserm geistlichen Departement beider Protestantischen Confessionen überlassen bleibt. Dieses Unser geistliches Departement hat aber sorgfältig dahin zu sehen, daß dabei in dem Wesentlichen des alten Lehrbegriffs einer jeden Confession keine weitere Abänderung geschehe. Dieser Befehl scheint Uns um so nöthiger zu seyn, weil

§ 7. Wir bereits einige Jahre vor Unserer Thronbesteigung mit Leidwesen bemerkt haben, daß manche Geistliche der protestantischen Kirche sich ganz zügellose Freiheiten, in Absicht des Lehrbegrifs ihrer Confession, erlauben; verschiedene wesentliche Stücke und Grundwahrheiten der protestantischen Kirche und der christlichen Religion überhaupt wegläugnen, und in ihrer Lehrart einen Modeton annehmen, der dem Geist des wahren Christenthums völlig zuwider ist, und die Grundsäulen des Glaubens der Christen am Ende wankend machen würden. Man entblödet sich nicht, die elenden, längst widerlegten Irrthümer der Socinianer, Deisten, Naturalisten, und anderer Secten mehr wiederum aufzuwärmen, und solche mit vieler Dreistigkeit und Unverschämtheit durch den äußerst gemißbrauchten Namen: Aufklärung, unter das Volk auszubreiten; das Ansehen der Bibel, als des geoffenbarten Wortes Gottes immer mehr herab zu würdigen, und diese göttliche Urkunde der Wohlfahrt des Menschengeschlechtes zu verfälschen, zu verdrehen, oder gar wegzuwerfen, den Glauben an die Geheimnisse der geoffenbarten Religion überhaupt, und vornehmlich an das Geheimniß des Versöhnungswerks und der Genugthuung des Welterlösers den Leuten verdächtig oder doch überflüßig, mithin sie darinn irre zu machen, und auf diese Weise dem Christenthum auf dem ganzen Erdboden gleichsam Hohn zu bieten. Diesem Unwesen wollen Wir nun in Unsern Landen schlechterdings um so mehr gesteuert wissen, da Wir es für eine der ersten Pflichten eines christlichen Regenten halten, in seinen Staaten die christliche Religion, deren Vorzug und Vortreflichkeit längst erwiesen und auser allen Zweifel gesezt ist, bei ihrer ganzen hohen Würde und in ihrer ursprünglichen Reinigkeit, so wie sie in der Bibel gelehret wird, und nach der Ueberzeugung einer jeden Confession der christlichen Kirche in ihren jedesmaligen symbolischen Büchern einmal vestgesezt ist, gegen alle Verfälschung zu schützen und aufrecht zu erhalten, damit die arme Volksmenge nicht den Vorspiegelungen der Modelehrer Preiß gegeben, und dadurch den Millionen Unserer guten Unterthanen die Ruhe ihres Lebens und ihr Trost auf dem Sterbebette nicht geraubet, und sie also unglücklich gemacht werden.

§ 8. Als Landesherr und als alleiniger Gesezgeber in Unsern Staaten befehlen und ordnen Wir also, daß hinführo kein Geistlicher, Prediger oder Schullehrer der protestantischen Religion bei unausbleiblicher Cassation, und nach Befinden noch härterer Strafe und Ahndung, sich der im vorigen § 7. angezeigten oder noch mehrerer Irrthümer in so fern schuldig machen soll, daß er solche Irrthümer bei der Führung seines Amtes oder auf andere Weise öffentlich oder heimlich auszubreiten sich unterfange. [] Ein jeder Lehrer des Christenthums in Unsern Landen, der sich zu einer von diesen drei Confessionen bekennet, muß und soll vielmehr dasjenige lehren, was der einmal bestimmte und festgesetzte Lehrbegriff seiner jedesmaligen Religionsparthei mit sich bringet, denn hiezu verbindet ihn sein Amt, seine Pflicht, und die Bedingung, unter welcher er in seinem besondern Posten angestellet ist. Lehret er etwas anders, so ist er schon nach bürgerlichen Gesetzen straffällig, und kann eigentlich seinen Posten nicht länger behalten. Unser ernster Wille ist daher auf die Vesthaltung dieser unabänderlichen Ordnung gerichtet, ob Wir schon den Geistlichen in Unsern Landen gleiche Gewissensfreiheit mit Unsern übrigen Unterthanen gern zugestehen, und weit entfernt sind, ihnen bei ihrer innern Ueberzeugung den mindesten Zwang anzuthun. Welcher Lehrer der christlichen Religion also eine andere Ueberzeugung in Glaubenssachen hat, als ihm der Lehrbegriff seiner Confession vorschreibt, der kann diese Ueberzeugung auf seine Gefahr sicher behalten, denn Wir wollen Uns keine Herrschaft über sein Gewissen anmaßen; allein, selbst nach seinem Gewissen müßte er aufhören, ein Lehrer seiner Kirche zu seyn [].

§ 9. Unser geistliches Departement, sowohl der reformirten als lutherischen Confession, erhält also hiedurch den gemessensten Befehl, stets ein offenes Auge auf die gesammte Geistlichkeit in Unsern Landen zu haben, damit jeder Lehrer in Kirchen und Schulen seine Schuldigkeit thue, und dasjenige, was im vorhergehenden § 8. gesagt worden ist, auf das genaueste beobachte [].

§. 10. Dem Vorigen gemäß befehlen Wir also den jedesmaligen Chefs der beiden geistlichen Departements, so gnädig als ernstlich, ihre vornehmste Sorge dahin gerichtet seyn zu lassen, daß die Besetzung der Pfarren sowol, als auch der Lehrstühle der Gottesgelahrtheit auf Unsern Universitäten, nicht minder der Schulämter, durch solche Subjecte geschehe, an deren innern Ueberzeugung von dem, was sie öffentlich lehren sollen, man nicht zu zweifeln Ursache habe, alle übrige Aspiranten und Candidaten aber, die andere Grundsätze äußern, müssen und sollen davon ohne Anstand zurück gewiesen werden, als worinn Wir besagten beiden Ministers stets freie Macht und Gewalt lassen wollen.

§ 11. Nachdem aus allen diesem sattsam erhellet, daß es Uns ein großer Ernst ist, die christliche Religion in Unsern Staaten aufrecht zu erhalten, und so viel in Unserm Vermögen stehet, wahre Gottesfurcht bei dem Volke zu befördern; so ermahnen Wir alle Unsere getreue Unterthanen, sich eines ordentlichen und frommen Wandels zu befleißigen, und werden Wir bei aller Gelegenheit den Mann von Religion und Tugend zu schätzen wissen, weil ein ieder gewissenloser und böser Mensch niemals ein guter Unterthan, und noch weniger ein treuer Diener des Staates weder im Grossen noch im Kleinen seyn kann. []

§ 13. Der geistliche Stand soll von niemand verachtet und gering geschätzet, oder gar verspottet werden: als welches Wir jederzeit höchstmißfällig vermerken, und dem Befinden nach nicht ungeahndet lassen werden, weil dieses nur gar zu oft einen unvermeidlichen Einfluß auf die Verachtung der Religion selbst hat. []

Quelle: Acten, Urkunden und Nachrichten zur neuesten Kirchengeschichte, Bd. 1 (6. St.). Weimar: Christian Wilhelm Schneider, 1788, S. 461–79; abgedruckt in Walter Demel und Uwe Puschner, Hrsg. Von der Französischen Revolution bis zum Wiener Kongreß 1789-1815, Deutsche Geschichte in Quellen und Darstellung. Hrsg. Rainer A. Müller, Band 6. Stuttgart: P. Reclam, 1995, S. 189–94.