Kurzbeschreibung

Die Verdrängung der Juden aus der deutschen Wirtschaft begann fast unmittelbar nach der Machtübernahme durch die NSDAP im Jahr 1933, vor allem mit dem Boykott jüdischer Geschäfte am 1. April desselben Jahres. Trotz des zunehmenden Drucks von SA-Mitgliedern und anderen, der sich auch in Schikanen und Gewalt äußerte, führten viele Juden jedoch ihre Geschäfte weiter und warben öffentlich für sie. 1936 wurde Hermann Göring zum Bevollmächtigten des Vierjahresplans ernannt. Der Vierjahresplan zielte speziell darauf ab, die deutsche Wirtschaft auf den Krieg vorzubereiten und sollte die Arbeitslosigkeit durch massive öffentliche Bauprojekte beenden sowie das Land durch die Produktion von synthetischem Öl und anderen für die Kriegswirtschaft notwendigen Produkten autark werden lassen. Ende 1938 wurde der Vierjahresplan durch neue Maßnahmen ergänzt, die vorsahen, die gesamte deutsche Wirtschaft „judenfrei“ zu machen. Das vorliegende Dokument, ein Auszug aus den neuen Verordnungen, beschreibt einige dieser neuen Maßnahmen. Diese Verordnungen, die im neuen Jahr in Kraft traten, beendeten effektiv die jüdische Präsenz in der Industrie sowie im Groß- und Einzelhandel.

Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben (12. November 1938)

Quelle

Auf Grund der Verordnung zur Durchführung des Vierjahresplans vom 18. Oktober 1936 (Reichsgesetzbl. I S. 887) wird folgendes verordnet:

§ 1
(1) Juden (§ 5 der Ersten Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 14. November 1935 – Reichsgesetzbl. I S. 1933) ist vom 1. Januar 1939 ab der Betrieb von Einzelhandelsverkaufsstellen, Versandgeschäften oder Bestellkontoren sowie der selbständige Betrieb eines Handwerks untersagt.
(2) Ferner ist ihnen mit Wirkung vom gleichen Tage verboten, auf Märkten aller Art, Messen oder Ausstellungen Waren oder gewerbliche Leistungen anzubieten, dafür zu werben oder Bestellungen darauf anzunehmen.
(3) Jüdische Gewerbebetriebe (Dritte Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 14. Juni 1938 – Reichsgesetzbl. I S. 627), die entgegen diesem Verbot geführt werden, sind polizeilich zu schließen.

§ 2
(1) Ein Jude kann vom 1. Januar 1939 ab nicht mehr Betriebsführer im Sinne des Gesetzes zur Ordnung der nationalen Arbeit vom 20. Januar 1934 (Reichsgesetzbl. I S. 45) sein.
(2) Ist ein Jude als leitender Angestellter in einem Wirtschaftsunternehmen tätig, so kann ihm mit einer Frist von sechs Wochen gekündigt werden. Mit Ablauf der Kündigungsfrist erlöschen alle Ansprüche des Dienstverpflichteten aus dem gekündigten Vertrage, insbesondere auch Ansprüche auf Versorgungsbezüge und Abfindungen.

§ 3
(1) Ein Jude kann nicht Mitglied einer Genossenschaft sein.
(2) Jüdische Mitglieder von Genossenschaften scheiden zum 31. Dezember 1938 aus. Eine besondere Kündigung ist nicht erforderlich.

§ 4
Der Reichswirtschaftsminister wird ermächtigt, im Einvernehmen mit den beteiligten Reichsministern die zu dieser Verordnung erforderlichen Durchführungsbestimmungen zu erlassen. Er kann Ausnahmen zulassen, soweit diese infolge der Überführung eines jüdischen Gewerbebetriebes in nichtjüdischen Besitz, zur Liquidation jüdischer Gewerbebetriebe oder in besonderen Fällen zur Sicherstellung des Bedarfs erforderlich sind.

Berlin, den 12. November 1938.
Der Beauftragte für den Vierjahresplan
Göring
Generalfeldmarschall

Quelle: Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben (12. November 1938), Reichsgesetzblatt I, 1938, S. 1580. Online verfügbar unter: https://alex.onb.ac.at/cgi-content/alex?aid=dra&datum=1938&size=49&page=1758