Kurzbeschreibung

In einem Interview, das Bundeskanzler Konrad Adenauer bereits kurz nach Gründung der Bundesrepublik dem Chefredakteur der Allgemeinen Wochenzeitung der Juden gab, die nach dem Krieg für die relativ wenigen deutschen Juden gegründet worden war, die sich entschlossen, in Westdeutschland zu bleiben oder dorthin zurückzukehren, sprach er offen über die massiven Verbrechen, die das nationalsozialistische-Deutschland während des Zweiten Weltkriegs im besetzten Europa und insbesondere an der jüdischen Bevölkerung Europas begangen hatte. Diese im Namen des deutschen Volkes begangenen Verbrechen verpflichteten die Bundesrepublik nicht nur zur Aufarbeitung, sondern auch zur Wiedergutmachung und zur materiellen Unterstützung der jüdischen Flüchtlinge, die ihre Familien und ihr gesamtes Hab und Gut verloren hatten und nun in den Aufnahmeländern in oft ärmlichen Verhältnissen lebten. Adenauer, der selbst als Oberbürgermeister von Köln von den Nationalsozialisten abgesetzt und anschließend von der Gestapo verhaftet und verhört worden war, machte sich zum Hauptbefürworter einer westdeutschen „Wiedergutmachungspflicht“, wie unzureichend sie auch immer sein möge. Er reagierte auch auf die Ängste, welche die frühe Amnestie von Kriegsverbrechern und das Wiederaufleben neonazistischer und antisemitischer Bewegungen nicht nur in der jüdischen Minderheit, sondern auch bei Politikern und Intellektuellen ausgelöst hatten. Während er die Prozesse gegen die NS-Verbrecher befürwortete, brachte er die weit verbreitete Meinung zum Ausdruck, dass die umfassende Entnazifizierungspolitik, der die westdeutsche Bevölkerung unterworfen war, viel Schaden angerichtet habe.

Interview mit Bundeskanzler Adenauer über Wiedergutmachung (25.November 1949)

Quelle

Frage:
Gewisse Kreise vertreten immer wieder die These, daß die Betonung des christlichen Charakters der CDU eine antijüdische Tendenz umschließe. Wollen Sie, Herr Bundeskanzler, zu dieser Frage eine Erklärung abgeben?

Antwort:
In der ersten Regierungserklärung vor dem Bundestag habe ich im Namen der Regierung und der hinter ihr stehenden politischen Kräfte betont, daß unsere Arbeit getragen sein wird von dem Geist christlich abendländischer Kultur und der Achtung vor dem Recht und der Würde des Menschen. In der Zeit des Hitlerregimes ist die Achtung vor der Würde des Menschen gründlich zerstört worden. Die Entwertung des Menschen zu einem Objekt staatlicher Zwecke ist eines der erschreckendsten Symptome jener Zeit gewesen. Wir wollen als Christen die Achtung vor dem Menschen ohne Rücksicht auf seine konfessionelle, rassische oder völkische Zugehörigkeit wiederherstellen. Im Geiste dieser Toleranz sehen wir in unseren jüdischen Landsleuten vollberechtigte Mitbürger. Wir wünschen, daß sie mit gleichen Rechten und Pflichten am geistigen, politischen und sozialen Aufbau unseres Landes teilhaben. Wir können und wollen ihre Mitarbeit nicht entbehren. Darin sehen wir in diesem Zusammenhang den Sinn des Begriffes „christlich“.

Frage:
Glauben Sie, Herr Bundeskanzler, daß durch die gegen Deutsche nach dem Kriege getroffenen Maßnahmen, z.B. bei der Austreibung aus den Ostgebieten, das Unrecht, das im Namen des deutschen Volkes bis 1945 geschehen ist, kompensiert werden kann? Diese Auffassung wird vielfach vertreten.

Antwort:
Unrecht und Leid, das über Menschen gebracht wurde, kann niemals kompensiert werden durch Unrecht oder Leid, das über andere Menschen gebracht wird. Das deutsche Volk ist gewillt, das Unrecht, das in seinem Namen durch ein verbrecherisches Regime an den Juden verübt wurde, soweit wiedergutzumachen, wie dies nur möglich ist, nachdem Millionen Leben unwiederbringlich vernichtet sind. Diese Wiedergutmachung betrachten wir als unsere Pflicht. Für diese Wiedergutmachung ist seit 1945 viel zu wenig geschehen. Die Bundesregierung ist entschlossen, die entsprechenden Maßnahmen zu treffen.

Frage:
Für uns ist die Wiedergutmachung nicht nur eine wirtschaftliche, sondern auch eine moralische Frage. Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um diese Wiedergutmachung zu fördern?

Antwort:
Die moralische Wiedergutmachung ist ein Teil unseres rechtsstaatlichenWiederaufbaues.Die Bundesregierung wird aufmerksam über die Einhaltung des Grundrechtsartikels wachen, der es verbietet, irgend jemand wegen seiner Abstammung, seiner Rasse oder seines Glaubens zu benachteiligen. Ich möchte keinen Zweifel darüber lassen, daß die Schändung jüdischer Kultstätten und die Verwüstung jüdischer Friedhöfe, die leider in den vergangenen Jahren immer noch vorgekommen sind, ohne Nachsicht geahndet und bestraft werden. Es ist Pflicht vor allem der Gemeinden, die jüdischen Kultstätten nicht nur in ihren Schutz zu nehmen, sondern, soweit nötig, den Wiederaufbau zu unterstützen. Ich habe in der ersten Regierungserklärung bereits angekündigt, daß wir gegen radikale Tendenzen nötigenfalls von den Rechten, die die Gesetze uns geben, entschlossen Gebrauch machen. Wir werden dies in aller Schärfe gegen antisemitische Tendenzen in der Presse oder im öffentlichen Leben tun, wenn sich dies als nötig erweist. Wir werden jeden Antisemitismus nicht nur bekämpfen, weil er uns innen- und außenpolitisch unerwünscht ist, sondern weil wir ihn aus Gründen der Menschlichkeit mit aller Entschiedenheit ablehnen. In Ausführung der Grundrechtsartikel des Grundgesetzes sind uns alle gesetzlichen Voraussetzungen gegeben, diesen unseren Willen in die Tat umzusetzen und die Juden vor jeder Diskriminierung zu schützen. Wir werden die Juden gegen jede Möglichkeit neuer Verfolgungen sichern.
Ihre besondere Aufmerksamkeit wird die Bundesregierung dem Ausgleich der den jüdischen Staatsangehörigen zugefügten wirtschaftlichen Schäden widmen. Die bestehende Gesetzgebung bedarf hier mancher Verbesserung und Ergänzung. Der Staat Israel ist die nach außen sichtbare Zusammenfassung der Juden aller Nationalitäten. Die Bundesregierung beabsichtigt, dem Staat Israel Waren zum Wiederaufbau im Werte von 10 Millionen DM zur Verfügung zu stellen, und zwar als erstes unmittelbares Zeichen dafür, daß das den Juden in aller Welt von Deutschen zugefügte Unrecht wiedergutgemacht werden muß.
Die lange Verfolgung der Juden in Deutschland während der nationalsozialistischen Zeit hat eine Reihe von Problemen entstehen lassen, über die die Bundesregierung sich laufend unterrichten lassen muß. Es wird deshalb im Bundesministerium des Innern ein Referat eingerichtet und einem deutschen Juden übertragen werden, das sich mit diesen Problemen befaßt. Die Einrichtung dieses Referats soll gleichzeitig den in Deutschland lebenden Juden die Gewißheit geben, daß seitens der Bundesregierung alles geschieht, um ihre staatspolitischen Rechte in vollem Umfang zu wahren.

Frage:
Die jüdischen Opfer der nationalsozialistischen Verfolgungen, insbesondere die Angehörigen der in Konzentrationslagern getöteten Juden verfolgen mit Besorgnis die Tendenz, die für die Vernichtung verantwortlichen politischen Elemente zu amnestieren und die Verfolgung von Menschlichkeitsverbrechen einzustellen. Beabsichtigt die Bundesregierung, Schritte in dieser Richtung zu tun?

Antwort:
Ich habe vor dem Bundestag bereits erklärt, daß die Bundesregierung der Auffassung ist, daß durch die Denazifizierung viel Unheil und Unglück angerichtet worden ist, daß jedoch die wirklich Schuldigen an den Verbrechen, die in der nationalsozialistischen Zeit und im Kriege begangen worden sind, mit aller Strenge bestraft werden sollen. Diese Auffassung wird von der Bundesregierung unverändert vertreten. Verbrecher, die sich der Vernichtung von Menschenleben schuldig gemacht haben, sind einer Amnestierung nicht würdig und werden auch in Zukunft der ihnen zukommenden Strafverfolgung ausgesetzt sein.

Quelle: Allgemeine Wochenzeitung der Juden, 25. November 1949.