Quelle
Frage:
Gewisse Kreise
vertreten immer wieder die These, daß die Betonung des christlichen
Charakters der CDU eine antijüdische Tendenz umschließe. Wollen Sie,
Herr Bundeskanzler, zu dieser Frage eine Erklärung abgeben?
Antwort:
In der ersten
Regierungserklärung vor dem Bundestag habe ich im Namen der
Regierung und der hinter ihr stehenden politischen Kräfte betont,
daß unsere Arbeit getragen sein wird von dem Geist christlich
abendländischer Kultur und der Achtung vor dem Recht und der Würde
des Menschen. In der Zeit des Hitlerregimes ist die Achtung vor der
Würde des Menschen gründlich zerstört worden. Die Entwertung des
Menschen zu einem Objekt staatlicher Zwecke ist eines der
erschreckendsten Symptome jener Zeit gewesen. Wir wollen als
Christen die Achtung vor dem Menschen ohne Rücksicht auf seine
konfessionelle, rassische oder völkische Zugehörigkeit
wiederherstellen. Im Geiste dieser Toleranz sehen wir in unseren
jüdischen Landsleuten vollberechtigte Mitbürger. Wir wünschen, daß
sie mit gleichen Rechten und Pflichten am geistigen, politischen und
sozialen Aufbau unseres Landes teilhaben. Wir können und wollen ihre
Mitarbeit nicht entbehren. Darin sehen wir in diesem Zusammenhang
den Sinn des Begriffes „christlich“.
Frage:
Glauben Sie, Herr
Bundeskanzler, daß durch die gegen Deutsche nach dem Kriege
getroffenen Maßnahmen, z.B. bei der Austreibung aus den Ostgebieten,
das Unrecht, das im Namen des deutschen Volkes bis 1945 geschehen
ist, kompensiert werden kann? Diese Auffassung wird vielfach
vertreten.
Antwort:
Unrecht und
Leid, das über Menschen gebracht wurde, kann niemals kompensiert
werden durch Unrecht oder Leid, das über andere Menschen gebracht
wird. Das deutsche Volk ist gewillt, das Unrecht, das in seinem
Namen durch ein verbrecherisches Regime an den Juden verübt wurde,
soweit wiedergutzumachen, wie dies nur möglich ist, nachdem
Millionen Leben unwiederbringlich vernichtet sind. Diese
Wiedergutmachung betrachten wir als unsere Pflicht. Für diese
Wiedergutmachung ist seit 1945 viel zu wenig geschehen. Die
Bundesregierung ist entschlossen, die entsprechenden Maßnahmen zu
treffen.
Frage:
Für uns ist die
Wiedergutmachung nicht nur eine wirtschaftliche, sondern auch eine
moralische Frage. Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um diese
Wiedergutmachung zu fördern?
Antwort:
Die moralische
Wiedergutmachung ist ein Teil unseres
rechtsstaatlichenWiederaufbaues.Die Bundesregierung wird aufmerksam
über die Einhaltung des Grundrechtsartikels wachen, der es
verbietet, irgend jemand wegen seiner Abstammung, seiner Rasse oder
seines Glaubens zu benachteiligen. Ich möchte keinen Zweifel darüber
lassen, daß die Schändung jüdischer Kultstätten und die Verwüstung
jüdischer Friedhöfe, die leider in den vergangenen Jahren immer noch
vorgekommen sind, ohne Nachsicht geahndet und bestraft werden. Es
ist Pflicht vor allem der Gemeinden, die jüdischen Kultstätten nicht
nur in ihren Schutz zu nehmen, sondern, soweit nötig, den
Wiederaufbau zu unterstützen. Ich habe in der ersten
Regierungserklärung bereits angekündigt, daß wir gegen radikale
Tendenzen nötigenfalls von den Rechten, die die Gesetze uns geben,
entschlossen Gebrauch machen. Wir werden dies in aller Schärfe gegen
antisemitische Tendenzen in der Presse oder im öffentlichen Leben
tun, wenn sich dies als nötig erweist. Wir werden jeden
Antisemitismus nicht nur bekämpfen, weil er uns innen- und
außenpolitisch unerwünscht ist, sondern weil wir ihn aus Gründen der
Menschlichkeit mit aller Entschiedenheit ablehnen. In Ausführung der
Grundrechtsartikel des Grundgesetzes sind uns alle gesetzlichen
Voraussetzungen gegeben, diesen unseren Willen in die Tat umzusetzen
und die Juden vor jeder Diskriminierung zu schützen. Wir werden die
Juden gegen jede Möglichkeit neuer Verfolgungen
sichern.
Ihre besondere
Aufmerksamkeit wird die Bundesregierung dem Ausgleich der den
jüdischen Staatsangehörigen zugefügten wirtschaftlichen Schäden
widmen. Die bestehende Gesetzgebung bedarf hier mancher Verbesserung
und Ergänzung. Der Staat Israel ist die nach außen sichtbare
Zusammenfassung der Juden aller Nationalitäten. Die Bundesregierung
beabsichtigt, dem Staat Israel Waren zum Wiederaufbau im Werte von
10 Millionen DM zur Verfügung zu stellen, und zwar als erstes
unmittelbares Zeichen dafür, daß das den Juden in aller Welt von
Deutschen zugefügte Unrecht wiedergutgemacht werden
muß.
Die lange Verfolgung
der Juden in Deutschland während der nationalsozialistischen Zeit
hat eine Reihe von Problemen entstehen lassen, über die die
Bundesregierung sich laufend unterrichten lassen muß. Es wird
deshalb im Bundesministerium des Innern ein Referat eingerichtet und
einem deutschen Juden übertragen werden, das sich mit diesen
Problemen befaßt. Die Einrichtung dieses Referats soll gleichzeitig
den in Deutschland lebenden Juden die Gewißheit geben, daß seitens
der Bundesregierung alles geschieht, um ihre staatspolitischen
Rechte in vollem Umfang zu wahren.
Frage:
Die jüdischen
Opfer der nationalsozialistischen Verfolgungen, insbesondere die
Angehörigen der in Konzentrationslagern getöteten Juden verfolgen
mit Besorgnis die Tendenz, die für die Vernichtung verantwortlichen
politischen Elemente zu amnestieren und die Verfolgung von
Menschlichkeitsverbrechen einzustellen. Beabsichtigt die
Bundesregierung, Schritte in dieser Richtung zu tun?
Antwort:
Ich habe vor dem
Bundestag bereits erklärt, daß die Bundesregierung der Auffassung
ist, daß durch die Denazifizierung viel Unheil und Unglück
angerichtet worden ist, daß jedoch die wirklich Schuldigen an den
Verbrechen, die in der nationalsozialistischen Zeit und im Kriege
begangen worden sind, mit aller Strenge bestraft werden sollen.
Diese Auffassung wird von der Bundesregierung unverändert vertreten.
Verbrecher, die sich der Vernichtung von Menschenleben schuldig
gemacht haben, sind einer Amnestierung nicht würdig und werden auch
in Zukunft der ihnen zukommenden Strafverfolgung ausgesetzt
sein.
Quelle: Allgemeine Wochenzeitung der Juden, 25. November 1949.