Kurzbeschreibung

Dieser Auszug aus der Publikation Studien über die Frauen des Mediziners und Chirurgen Eduard Reich versucht, die Entstehung, die Physiognomie und die sozialen Auswirkungen der vier verschiedenen „weiblichen Temperamente“ – sanguinisch, phlegmatisch, cholerisch und melancholisch – zu erklären. Reich betrachtet dabei auch die Merkmale verschiedener „gemischter“ Temperamente und den Zusammenhang zwischen Temperament und der Form des weiblichen Schädels.

Eduard Reich, Studien über die Frauen (1875)

Quelle

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Von dem Temperamente.

§ 163

Wenn die Umstände so günstig oder ungünstig sind, dass sie der Entwickelung des Temperaments nach seiner eigenen Art freien Lauf lassen, so kann die sanguinische Frau leicht ein Engel, die cholerische leicht ein Teufel, die phlegmatische kein Engel, aber auch kein Teufel, die melancholische kein Teufel, aber auch kein Engel werden. Vollständig ausgebildete Temperamente sind das sanguinische und das cholerische; weibliche Wesen anderer Temperamente sind nicht genügend scharf ausgeprägt, darum erreichen sie auch nicht die Höhepunkte charakteristischer Entwickelung.

Das sogenannte philosophische oder temperirte Temperament sucht man bei dem weiblichen Geschlechte zumeist vergebens, und wo man es findet, findet man es nur als Andeutung, als Umriss; der eigentliche Inhalt ist stets durch eines der gewöhnlichen Temperamente ausgedrückt.

§ 164

Aus welchem Grunde ist das philosophische Temperament den Frauen nicht eigen? Nur die höchst entwickelten und in ihrer Gehirnorganisation höchst vollendeten Männer sind von einer bestimmten Periode des Alters an Inhaber des temperirten Temperaments. Da nun bei dem weiblichen Geschlechte die höchste Potenz der Entwickelung wegen des auf so breiter Unterlage ruhenden und das Weib so überwiegend in Anspruch nehmenden Sexuallebens gar nicht möglich ist, so ist auch das philosophische Temperament den Töchtern Eva’s nicht eigen.

Eine jede Frau hat demnach ihr bestimmtes gewöhnliches Temperament; manchmal deren zwei oder mehrere; manchmal so viel Temperamente, als es Richtungen der Windrose gibt, ohne jedoch eines glücklichen Temperamentes theilhaftig zu sein. Glückliche Temperamente sind selten, weil deren Entwickelung sehr glückliche Constellationen voraussetzt: Gesundheit der Erzeuger, gute Erziehung, Wohlstand, Sorgfalt in der Leibespflege, harmonische Bildung des Geistes, erfrischende und die Lichtseite des Menschen kräftigende Lebensverhältnisse, – dies sind die Umstände, unter denen glückliche Temperamente auch bei dem weiblichen Geschlechte sich entwickeln.

Bei den Frauenzimmern wird das sanguinische Temperament immer das glücklichste sein, wenn dasselbe unter günstigen Verhältnissen von individueller Anlage und äusseren Einflüssen sich gestaltete. Weiber solchen Temperaments sind immer heiter, immer frisch, immer jugendlich, erheitern, erfrischen und verjüngen alle Menschen, mit denen sie in Berührung kommen, und bleiben dem Blaustrümpfethume ebenso wie dem Xantippenthume gleich weit ferne.

Phlegmatische Frauen sind für sich selbst unter sonst guten Verhältnissen glücklich; sie beglücken aber andere Menschen weniger positiv, als vielmehr dadurch, dass sie deren Glück durch schädliche Einmischung nicht stören.

Cholerische Frauen pflegen glücklich zu sein, wenn die Welt nach ihnen sich richtet; unglücklich aber, wenn sie nach der Welt sich richten müssen. Hier lässt indessen ungemein viel durch Erziehung sich gut machen.

Mit melancholischen Frauen steht das Glück nicht auf dem besten Fusse, auch wenn das melancholische Temperament ganz in der Breite gesundheitsgemässer Beschaffenheit liegt. Wenn Weiber dieses Temperaments nicht meisterhaft erzogen sind und nicht unter befriedigenden Verhältnissen leben, sind sie selbst nicht glücklich und vermögen auch Andere nicht zu beglücken.

Sanguinische Frauen.

§ 165

Das sanguinische Temperament betreffend, sagt Johann Georg Heinrich Feder unter Anderem: „Da dieses Temperament die gesundeste körperliche Constitution, Kräfte ohne beschwerlichen Drang, Empfindlichkeit ohne Ueberspannung, ein bewegliches, nicht brausendes, gleichmässig sich vertheilendes Geblüt zum Grunde hat: so muss es der Seele gewöhnlich das behaglichste Körpergefühl zuführen, oder wenigstens vor allem beschwerlichen Gefühl des Körpers am meisten sichern, und dadurch also mehr als ein anderes zur Heiterkeit und Freundlichkeit aufgelegt machen. Mehr als ein anderes lädt es auch zum Genusse sinnlicher Freuden ein. Die meisten Eindrücke müssen demselben angenehm sein… Den besten Gesellschafter gibt er [1]) ab; so heiter, offen, ohne Misstrauen und ohne Arges in seinem Herzen; nicht zu träge, um etwas für das gemeinschaftliche Vergnügen mit zu thun; nicht zu steif und widerspänstig, um nach den Wünschen Anderer sich zu bequemen; voll des Vergnügens, um auch über Andere davon zu verbreiten; und nicht zu unempfindlich oder zu verschlossen, um die Freuden Anderer mit zu fühlen; nicht so reizbar, um bei dem geringsten Anlasse aufgebracht und beleidigt zu werden; aber auch nicht zu schwach, um Denjenigen zu widerstehen, die Freuden stören, oder Geduld und Güte missbrauchen“.

„Bei seinem behaglichen Körpergefühl lässt sich auch schon so angenehm vegetiren, dass er nicht ohne Gefahr ist“, bemerkt Feder weiter, „ der Neigung zum Müssiggange und zur Trägheit sich zu überlassen; … aber die Lebhaftigkeit seiner Empfindungen, der gute Vorrath von Kräften, die er besitzt und immer leicht wieder herstellt, nebst seiner Lenksamkeit und leichten Theilnehmung an dem Zustande und den Wünschen Anderer, machen es auch nicht schwer, ihn aus der Unthätigkeit heraus zu reissen und zur anhaltenden Arbeitsamkeit zu gewöhnen.

Ueberhaupt hat dieses Temperament nur eine gute Erziehung und richtige Grundsätze nöthig, um den vollkommensten Gemütscharakter zu geben“. – Dies Alles hat in demselben Maasse für das weibliche wie für das männliche Geschlecht Geltung, und liefert in seiner Anwendung speciell auf das weibliche Geschlecht nicht wenige Anhaltepunkte zu Betrachtungen.

§ 166

Unter allen Umständen passen sanguinische Frauen den Lebensverhältnissen am leichtesten und besten sich an, und dies ganz besonders, wenn die Erzieher es verstanden, die guten Seiten des Temperaments herauszubilden, also das Accomodationsvermögen stärker zu entwickeln und die Gesundheit zu kräftigen. Was ist dem Weibe am meisten nöthig? Heiterkeit, Zufriedenheit, Genügsamkeit, Unverdrossenheit, Thätigkeit! Dies Alles ist ein Panzer gegen jeden Anprall des Schicksals, ein Talisman in allen widrigen Lebenslagen, ein Mittel, das eigene Selbst und die Gefährten auch in Stürmen sicher auf der Oberfläche zu erhalten, in kritische Lagen Muth einzuflössen und ohne Kopfschmerz den Ausweg zu finden.

Wenn sämmtliche Frauen sanguinischen Temperaments gesund und wohlerzogen wären, gäbe es kaum weibliche und nur äusserst wenig männliche Verbrecher, und das Himmelreich auf Erden stände am Vorabend seiner Verwirklichung; es gäbe kaum Hysterie und Nervosität, und kein Gequälter verspürte Lust, an den Wänden hinaufzulaufen; man beobachtet wohl nur selten die Erscheinungen und Wirkungen ungenialer Furcht, philisterhaften Treibens und kleinlicher Verzagtheit, sondern sähe Genialität, Thatkraft und Entschlossenheit sich ausbreiten. Dies Alles und manches andere Gute käme zu Tage, wenn die grössere Zahl der Frauen sanguinischen Temperaments gesund und wohlerzogen wäre.

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§ 170

Nach den Forschungen von Le Canu, welche Robert Bird reproducirt, ist der Unterschied in der Zusammensetzung des Blutes sanguinischer und phlegmatischer Frauen nicht unbeträchtlich; es waren in je tausend Gewichtstheilen Blutes enthalten:

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Sanguinisches
Temperament
Mann

Sanguinisches
Temperament
Frau

Phlegmatisches
Temperament
Mann

Phlegmatisches
Temperament
Frau

Wasser

786,584

793,007

800,566

803,716

Eiweiss

65,850

71,264

71,781

68,660

Blutkörperchen

136,197

126,174

116,667

117,586

Glauben wir einen Augenblick, diesen Zahlen komme wirklich Werth in relativem Sinne zu, so springt uns der grosse Unterschied in dem Verhältnisse mehrerer Hauptbestandtheile des Blutes sofort in die Augen. Während das Blut sanguinischer Menschen die Geschlechtsverschiedenheit deutlich anzeigt, stehen phlegmatische Männer und Frauen hinsichtlich der Beschaffenheit des Blutes einander sehr nahe. Während das Eiweiss im Blute sanguinischer Frauen in grösserer Menge enthalten ist, als im Blute sanguinischer Männer, kommt dieser Stoff bei dem phlegmatischen Temperamente in dem umgekehrten Verhältnisse vor: die Männer haben davon mehr, als die Frauen. Ueberall aber ist das Blut der Frauen reicher an Wasser, als das der Männer; nur fällt bei dem sanguinischen Temperamente dieser Unterschied stärker in die Augen, als beim phlegmatischen. Merkwürdiger aber ist es, dass die Blutkörperchen bei Sanguinikern so sehr hervortreten, dass diese Formelemente bei sanguinischen Männern in weit grösserer Zahl vorhanden sind, als bei sanguinischen Frauen, und dass phlegmatische Frauen etwas mehr von Blutkörperchen haben, als Männer des phlegmatischen Temperaments.

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Phlegmatische Frauen

§ 173

Innerhalb des gesitteten Lebens gibt es viele Plätze, die naturgemäss phlegmatischen Frauen zukommen; es gibt Beschäftigungen und Stellungen, in denen der Besitz phlegmatischen Temperamentes zu einem wahren Palladium wird, Zufriedenheit und Glück zu verbürgen vermag. Könnte jedes Temperament ohne Weiteres an den von der Natur ihm zukommenden Platz gestellt werden, so kämen Unzufriedenheit und Unglück so selten vor, dass man immerhin an die Gegenwart des Himmelreichs auf Erden glauben dürfte.

Beschäftigungen und Stellungen, die Arbeit fordern und Ehrgeiz ausschliessen, werden leichter von Phlegmatikern vollführt und eingenommen werden können, als von Menschen anderer Temperamente. Eine phlegmatische Frau wird demnach unter solchen Verhältnissen immer noch am meisten ausdauern und dem Manne den angestrengten, Ehrenbezeugungen nicht einbringenden Beruf wesentlich erleichtern.

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§ 175

Die körperliche Gesammtverfassung, welche die Grundlage des phlegmatischen Temperamentes ausmacht, documentirt sich durch Besonderheiten des Kopfbaues, der Zusammensetzung des Blutes, der Beschaffenheit der Haut und der Unterleibsorgane. Weil die Stoffbewegungen minder energisch vor sich gehen, der Blutumlauf langsamer ist, die Nerven durch das minder substanziöse Blut auch zu keiner so intensiven Thätigkeit angeregt werden, darum ist der Phlegmaticus ebenso wie die phlegmatische Frau ruhig, langsam, besonnen, schwerfällig, und der Mann dies Alles in noch höherem Grade, als die Frau.

Aus dem bisher Entwickelten dürfte leicht sich ergeben, dass bei Frauen phlegmatischen Temperaments gute Erziehung und Hygiene, Gewöhnung an einfache Lebensart und regelmässige Thätigkeit zu Verbesserung des Blutes, somit der ganzen Constitution, und zu Verhütung jener Fehler, welche ein schlimm geartetes phlegmatisches Temperament kennzeichnen, wesentlich beitragen werde. Es dürfte daher zu sehr grossem Theile an den äusseren Verhältnissen liegen, ob das phlegmatische Temperament nach der günstigen oder ungünstigen Seite hin sich entwickelt, ob es mit körperlicher Schwäche oder Stärke gepaart erscheint, ob der Inhaber desselben ein träger Dummkopf oder ein thatkräftiger Erleuchteter ist. Die äusseren Verhältnisse bestimmen Blutmischung, Grad und Art der Entwickelung des Gehirns, endlich den Stand des physischen und moralischen Wohlbefindens.

Für kein Weib ist phlegmatisches Temperament an sich Glück oder Verhängniss; es wird das eine oder das andere erst durch den Einfluss der äusseren Umstände, insbesondere durch Erziehung, Leibespflege und Grad wie Art von Wohlstand oder Armuth und die hiermit verbundene Beschäftigung oder Nichtbeschäftigung.

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Cholerische Frauen

§ 183

Frauen des cholerischen Temperaments sind in der Regel intensiv geistig thätig, aber mindestens ebenso intensiv leidenschaftlich, und zwar darf als die vorwiegende Leidenschaft dieser Wesen entweder der Ehrgeiz, oder die Geldgier, oder beides zugleich, ausserdem Stolz oder auch Hochmuth angesehen werden. Man kann nicht sagen, dass bei Menschen des heftigen Temperamentes die Einbildung einseitig vorherrsche; aber es kann als sicher gelten, dass hier die Phantasie einen hohen Grad von Entwickelung erreiche.

Carl Friedrich Floegel bemerkt über die Choleriker unter Anderem: „Daher haben Menschen, welche dieses Temperament vorzüglich besitzen, sehr lebhafte Vorstellungen. Sie sind also auch ausnehmend zum Studieren geschickt, und besonders zu den schönen Künsten und Wissenschaften aufgelegt, welche eine lebhafte Einbildungskraft erfordern. Sie sind hochmüthig und zornig, und die Ehre ist der vornehmste Trieb ihrer Handlungen; deswegen legen sie sich gerne auf solche Einsichten, die ihnen den stolzen Klang des Nachruhms erwerben können“. – Dieser Anspruch hat für Frauen ebenso Geltung wie für Männer, und man findet unter den weiblichen Künstlern und Schriftstellern sehr häufig das cholerische Temperament.

Mit cholerischen Frauen lässt vortrefflich sich bestehen, wenn dieselben nicht verbildet, missrathen sind; schont man ihr Ehrgefühl, tritt man ihrem Ehrgeize nicht nahe, bleibt man mit nackter Gewalt und Lieblosigkeit, Untreue und Erbärmlichkeit ihnen ferne, so kann man gewiss von ihnen beglückt werden und sehr wesentlich auch zu ihrer Beglückung beitragen. Verletzt man ihr Ehrgefühl , nimmt ihrem Ehrgeize grausam das Object, erzieht und bildet man sie falsch und verkehrt, tritt man lieblos, kalt ihnen entgegen: so arbeitet man mit aller Kraft daran, das cholerische Temperament zu verderben, die guten Seiten desselben zu unterdrücken, die Schattenseiten hervorzubilden, und die Inhaberinnen dieses Temperaments womöglich in Ungeheuer zu verwandeln, zu Ausschweifungen, Lastern und Verbrechen zu treiben.

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§ 185

In der Entwickelung des cholerischen Temperaments ist auf zwei Organe der Accent gelegt: auf das Gehirn und auf die Leber; jenes scheint in allen Theilen stärker ausgebildet und in Bezug auf gewisse Stellen besonders reichlich bedacht zu sein; die Leber scheint bei Cholerikern grösser und activer zu sein, als bei den Menschen anderer Temperamente. Dieser Ausspruch gründet sich nicht auf vergleichende Messungen und Wägungen, sondern auf einfache Beobachtungen, und bestätigt in seiner Richtigkeit sich um so mehr, je genauer die Thätigkeitsäusserungen von cholerischen Männern und Weibern in das Auge gefasst werden.

Unter allen Temperamenten entspricht dem cholerischen die am meisten charakteristische Schädel- und Gesichtsform. Frauen mit solchen Köpfen und Gesichtern können unmöglich in Stellungen und Lebenslagen ihr Glück finden, wo Ehre ausgeschlossen und Unterordnung unter rohe, übermüthige, herzlose und geistig beschränkte Menschen geboten ist.

Cholerische Frauen pflegen durch Energie des Willens, durch Schärfe des Verstandes und durch Feuer der Einbildung sich auszuzeichnen, und dies um so mehr, je charakteristischer Kopf- und Gesichtsbildung hervortritt. Sie können demnach nur unter der Bedingung ganz sich wohl fühlen, wenn die Gelegenheit waltet, die genannten moralischen Eigenschaften zur Geltung zu bringen. Höhere gesellschaftliche Stellungen sind deshalb das eigentliche Fahrwasser, die eigentliche Lebensluft dieser Frauen; hier können sie, wenn wohl erzogen und gut geleitet, ihre moralischen Anlagen und Fähigkeiten zum Nutzen der bürgerlichen Gesammtheit verwerthen.

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§ 188

Die Leidenschaften der Frauen cholerischen Temperaments bedürfen eines starken Gegengewichts, wenn sie nicht excessiv werden, nicht ausarten sollen. Wo dieses Gegengewicht fehlt, kommen böse Leidenschaften, ja Verbrechen und Laster zu Tage, in denen gerade die cholerischen Weiber das Höchste leisten, ganz wie selbe unter günstigen Verhältnissen den Höhepunkt der Tugend erreichen können. Was die Leidenschaften steigert und die Cholerische zum Ungethüme macht, ist Mangel an wahrer Religion, intensive Beschäftigung mit Romanenlectüre, allzu freier Umgang mit dem anderen Geschlecht, besonders wenn dieses den verderbten Klassen angehört, Mangel an richtiger Geistesbildung, und die Gelegenheit, schon von früher Jugend an zu befehlen. Nichts wirkt schädlicher auf das cholerische Temperament von Frauen ein, als Missbrauch der Autorität, verkehrte Erziehung und schlechter Umgang; die Nachtheile, welche unter solchen Verhältnissen entstehen, lassen äusserst schwierig sich beseitigen und beschränken ihre Wirkung nicht auf das Einzelwesen, sondern werden der Familie, der ganzen Gesellschaft gefährlich.

Es gibt in Europa Landstriche, wo das Volkstemperament cholerisch, die Religion ohne wahren Inhalt, nur Form ist, nur die Sinne beschäftigt und betäubt; wo das Romanenlesen und Romanenspielen neben dem gemeinsten praktischen Materialismus einherläuft; wo der Umgang mit dem anderen Geschlechte nach den Normen der Schicklichkeit, nicht nach denen der Sittlichkeit stattfindet; wo das männliche Geschlecht nicht allein ohne moralischen Kern, sondern auch ohne wahren intellectuellen Inhalt sich darbietet, nur für Erwerb materieller Güter und sinnlicher Genuss Interesse und Verständniss zeigt; wo die dienenden Klassen vermöge erstaunlicher Unwissenheit und moralischer Lethargie den Gegenstand unbeschränkten Commandirens abgeben; – in allen diesen Gegenden nimmt das cholerische Temperament der Frauen oft genug einen bedauerlichen, ja einen abscheulichen Charakter an.

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Eine Frau, deren melancholisches Temperament durch den Einfluss günstiger Aussenverhältnisse vor krankhafter Gestaltung bewahrt wurde, dürfte zwar kaum zu grossen Höhen des Ideales sich erheben, doch aber immerhin leidlich sein und die Selbstsucht nicht in nackter Weise zur Schau tragen. Man kann auch das ganz physiologische entwickelte melancholische Temperament bei Frauen nicht ein glückliches nennen, weil die allzu vielen Besorgnisse und Bedenken, welche diese Gemüths- und Geistesverfassung mit sich bringt, nicht geeignet sind, Selbstzufriedenheit hervorzubringen und Andere glücklich zu machen.

§ 190

Weil das melancholische Temperament an eine gewisse Gesammtconstitution sich knüpft und die Inhaber des fraglichen Temperamentes eine Schädelform bekunden, die gerade das Gegentheil einer idealen ist, darum wird es darauf ankommen, von frühester Jugend an, die gesundheitsgemässeste Gestaltung der Constitution und, durch ebenso sorgfältige Erziehung wie gute Unterrichtung, eine möglichst günstige Gestaltung des Gehirns, somit auch des Schädels zu erwirken. Je mehr melancholisch temperamentirte Frauenzimmer in einem Lande, desto weniger Heiterkeit und Lebensfreude, desto mehr Engherzigkeit und Gemüthsdepression, also desto weniger Glückseligkeit. Es gibt Erdstriche, wo das melancholische Temperament sehr viele Vertreter beiderlei Geschlechtes hat; dort findet man keine Gemüthlichkeit, sondern jene psychischen Zustände, welche den Aberglauben und das Pfaffenthum begünstigen, jedem lebensfrohen Menschen den Aufenthalt verleiden, und wahre Philosophie sogut wie wahre Poësie unmöglich machen.

Ich halte es für eine der wichtigsten Aufgaben der Nationalerziehung und Volkshygiene, das melancholische Temperament, insbesondere bei Frauen, immer mehr und mehr auszutilgen. So lange dieses Temperament sich entwickelt, so lange herrschen kirchlicher und sonstiger Fanatismus, Sauertöpfigkeit, Neigung zu Unzufriedenheit, Neid, Geiz und dergleichen Miserabilitäten unausrottbar unter den Menschen, und Genialität ebenso wie wahrer Aufschwung des Gemüthes müssen mit den grössten Schwierigkeiten kämpfen. Aber hiermit noch nicht genug. Weil das melancholische Temperament in der nächsten Beziehung zur Hypochondrie steht, wird diesem Uebel um so mehr Vorschub geleistet, je häufiger das genannte Temperament ist.

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§ 194

Den gemischten Temperamenten der Frauenzimmer hat Otto Heinrich von Schädtler ganz besonders Aufmerksamkeit gewidmet. Heben wir Einiges von seinen Schilderungen hervor. „Die sanguinisch rosenfarbige Blondine“, sagt Schädtler von der Vertreterin dieses keineswegs ganz reinen Temperaments, „zeichnet sich im Allgemeinen durch ein munteres, belebtes, mitfühlendes Gemüth aus; wo aber keine solide Erziehung nachdrücklich einflussreich gewirkt hat, zugleich durch Leichtsinn, Rastlosigkeit und durch launenhaftes, unbedachtsames Plappern.“

„Die cholerische Brünett-Blondine ist nicht selten mit glänzenden Geistesanlagen begabt. Aber dessenungeachtet ist sie nicht immer liebenswürdig. Eine weniger sorgsame Erziehung bewirkt oft ein kaltes, ungeselliges Selbstgefühl. Schon sehr jung geht die reizende Kindlichkeit verloren; wie unterhält sich lieber mit älteren, klugen Leuten, als mit ihren Gespielinnen, was einen verderblichen Einfluss auf Gemüth und Charakter äussert. Wenn sie inneren Drang zur Mittheilung fühlt, erfährt sie, dass ihr Niemand sich zu nähern wagt. … Bei guter Erziehung gleicht ihre Tugend einem Diamanten, der sich nicht durch die trügerische List des Augenblicks verdunkeln lässt. Ihr stolzes Selbstgefühl vermag den rohesten Menschen innerhalb der Grenzen des Anstandes zu halten.“

„Bei dem cholerisch-sanguinischen Frauenzimmer ist oft Schönheit und Verstand, aber nur bei einer fast vollkommenen Erziehung zugleich mit Tugend zu einem entzückenden Ganzen vereinigt. … Wird es aus Mangel an solider Erziehung und durch gefährlich Umgebung in den Strudel des Leichtsinns gezogen, so wird es sich und Anderen gefährlich; denn dann wird der Genuss des Augenblickes ein Abgott, und die Mittel dazu sind ihm ganz einerlei“.

„Das sanguinisch-cholerische Frauenzimmer äussert auch oft im täglichen Leben, wenn seine Erziehung verfehlt ist, und Umgebung so wie böses Beispiel eine falsche Richtung veranlasst haben, ein verstelltes, verschobenes Zartgefühl. … Die Feinheit des Verstandes und die Leichtigkeit, sich nach Allem gehörig zu wenden und zu drehen, verleiht ihm die wahre Kunst der Intrigue. Sie erreichen gewöhnlich ihr Ziel; wann aber nicht, so entstehen aus diesem Temperamente die gefährlichsten Betschwestern, weil sie unter der von der Dummheit bewunderten Maske wahrer Frömmigkeit zu viel Gelegenheit haben, junge Pflanzen zu vergiften. Hätten diese selbst und für Andere unglückliche Wesen eine ihrem Temperamente entsprechende Erziehung genossen, so wären sie unbedingt ein reicher Schmuck ihres Geschlechts“.

„Die melancholische Brünette“, bemerkt Schädtler von diesem nicht unvermischten Temperamente, „nährt lieber Gram, als Freude in ihrer Brust. Laute, rauschende Vergnügungen sind ihr zuwider; sie verhält sich sehr ruhig und schweigend dabei. … Sie hat in der Regel tiefes Gefühl, und ihr Gesicht gleicht einem chemisch beschriebenen Blatte Papier, welches erst durch den Hauch Inhalt und Bedeutung erhält. Ihre Kleidung verräth gewöhnlich keine Eitelkeit, wohl aber elegante Einfachheit, ein Ausdruck, der mit Recht auch auf ihren Verstand angewandt werden kann, welcher nicht blendet, aber mit der Zeit einnimmt.“

„Das melancholisch-cholerische Frauenzimmer gleicht, mit Rücksicht auf die Gemüthsbeschaffenheit, am meisten dem Manne. Mit den Jahren nimmt es oft dessen stolzes, ernstes Wesen an, mischt sich gerne in seine Geschäfte, und beweist durch Eigensinn, Härte und Gefühllosigkeit, dass eine verfehlte Erziehung die echte Weiblichkeit frühzeitig getödtet hat“.

„Das melancholisch-sanguinische Frauenzimmer bildet oft im geselligen Verkehr den anziehenden Mittelpunkt, erregt die Bewunderung aller Augen“ … „wenn ihm plötzlich ein Unglück begegnet, so entbehrt es Rath und Beistand, und erblasst bei dem Gedanken einer hoffnungslosen Zukunft, fühlt die Bürde eines alleinstehenden Herzens, und wirft sich mit zuversichtlicher Leidenschaft in die Arme des Ersten, des Besten, der ihm Theilnahme erwiesen“. –

„Bei dem cholerisch-sanguinisch-melancholischen Frauenzimmer findet man häufig eine sonderbare Mischung von Ernst und Scherz, von sanftem Nachgeben und strengem Gefühl für Recht, was die kühnsten Handlungen herbeiführen kann“.

Und von dem sanguinisch-cholerisch-phlegmatischen Temperamente sagt Schädtler: „Damen dieses Temperaments sind ebenso sehr ein Schönheits-, als ein Tugendideal. Schönheit, Grazie, Talent, Sanftmuth und Charakterfestigkeit sind oft harmonisch in ein Ganzes vereint … Diese Temperamentsmodification eignet sich leicht tiefere Kenntnisse in Fächern der Wissenschaft an, und das kleinste, flüchtigste Billet ist immer ein Muster von guter Schreibart“.

„Das cholerisch-sanguinisch-phlegmatische Frauenzimmer ist ein wahres Chamäleon, am allerschwierigsten zu ergründen, da die auffallendsten Contraste in ihm vereint gefunden werden. Bald weinend und seufzend, bald stolz und spottend … Bald ist es falsch und hinterlistig, bald übertrieben offenherzig“.

Mit diesen Aussprüchen Schädtler’s soll es genügen.

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L. A. Gosse lieferte den Nachweis, dass die von vielen Völkern geübte künstliche Formation des Schädels grossen Einfluss nehme auf Intelligenz, Leidenschaften, kurzum auf die psychische Gesammtverfassung, also auf das Temperament. Gosse schliesst aus seinen Untersuchungen über die künstliche Gestaltung des Schädels unter Anderem: „Wenn man den vorderen und den mittleren oberen Theil des Schädels selbst in gemässigtem Grade niederdrückt, scheint dies mehr oder weniger nachtheilig zu wirken auf die Harmonie der geistigen Fähigkeiten, und die unüberlegten Leidenschaften zu begünstigen. In stärkerem Maasse ausgeübt, kann diese Operation die Entwickelung der Intelligenz hemmen oder die geistigen Fähigkeiten alteriren, thierische Leidenschaften begünstigen“. „Bei mässiger Niederdrückung des hinteren Theiles des Kopfes scheint weder die Intelligenz noch die Gesittung benachtheiligt zu werden; in gewissen Fällen scheint die Operation der Intelligenz und Gesittung eher noch zum Vortheile zu dienen, indem sie das Gleichgewicht der verschiedenen Theile des Gehirnes wieder herstellt“. So Gosse.

Die hier ausgedrückten Thatsachen geben einen Wink über die Umwandelung der ursprünglichen Temperamentsanlagen. Wir wissen, dass jedes Temperament, sei dasselbe ein beziehungsweise reines oder ein gemischtes, mit einer ganz bestimmten Form des Schädels auftritt. Wird nun der Schädel künstlich umgestaltet, so ändert sich das ursprüngliche Verhältniss der Gehirntheile, und damit das Temperament.

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§ 200

Im Laufe des Alters erfährt jedes Temperament Modificationen, und das junge Mädchen ist in Bezug auf das Temperament sehr verschieden von der alten Frau, auch wenn die Grundzüge der beiderseitigen Anlagen dieselben sind. Unpassende Erziehung und naturwidrige Lebensverhältnisse, welcher Art sie sein mögen, verschlimmern das Temperament der Frauen in dem Maasse der Dauer und Intensität der Einwirkung, und machen aus einem Weibe, welches unter anderen Umständen ganz leidlich geworden wäre, einen Höllendrachen.

Sanguinisch-phlegmatische Frauen pflegen, wenn das Temperament nicht durch naturwidrige Einwirkungen verdorben wurde, bis in das hohe Alter liebenswürdig zu sein, insbesondere unter der Voraussetzung eines gewissen Ueberwiegens des sanguinischen über das phlegmatische Element, wenn man durch ein Bild sich ausdrücken soll.

Mit den cholerisch-melancholischen Frauen dagegen verhält es sich anders, und zwar werden diese mit zunehmendem Alter um so grimmiger und bissiger, je weniger natur- und gesundheitsgemäss die Lebensweise ist, und je mehr die Aussenverhältnisse die Entwickelung niederer Leidenschaften begünstigen.

Frauen, die in geschlechtlicher Beziehung ausschweifend lebten, werden im Laufe des Alters um so gefährlicher, je mehr das Temperament von melancholischer Beimischung enthält.

Weil durch ungeschickte Erziehung und allerhand Voreingenommenheiten im Gesellschaftsleben das Temperament des Weibes so häufig verdorben wird, darum gibt es so wenige jugendfrische, liebenswürdige, entzückende alte Frauen.

Anmerkungen

[1] Der Sanguiniker

Quelle: Eduard Reich, Studien über die Frauen. Jena: H. Costenoble, 1875, S. 182–218 (Auszüge). Online verfügbar unter: http://mdz-nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bvb:12-bsb11312885-3