Kurzbeschreibung

Nach der Deportation von 300.000 Juden aus dem Warschauer Ghetto in das Vernichtungslager Treblinka im Juli 1942 verbreitete sich unter den Ghettobewohnern das Gefühl, dass die endgültige Verhaftung der verbleibenden 60.000 Menschen unvermeidlich war. Als Reaktion darauf gründete das Netzwerk des jüdischen Widerstands im Warschauer Untergrund zwei Organisationen, die Jüdische Kampforganisation (Zydowska Organizacja Bojowa, ZOB) und den Jüdischen Militärverband (Zydowski Zwiazek Wojskowvy, ZZW). Am 19. April 1943 drangen deutsche Militär- und SS-Truppen in das Warschauer Ghetto ein, um die endgültige Liquidierung der verbliebenen Juden der Stadt einzuleiten. Die Truppen stießen zunächst auf heftigen Widerstand seitens des ZOB und des ZZW, welche die Truppen aus dem Ghetto drängten. Im Laufe der nächsten Wochen war das deutsche Militär gezwungen, einen guerillaähnlichen Krieg gegen den Widerstand zu führen. Die SS zerstörte das Ghetto und zwang fast 56.000 Juden aus ihren Verstecken. Schätzungsweise 7.000 Männer und Frauen starben im Widerstandskampf, 42.000 gefangene Juden wurden in Arbeitslager des Generalgouvernements deportiert. Weitere 7.000 Juden wurden nach Treblinka deportiert und ermordet.
Dieses Dokument, ein Aufruf des ZOB zum Widerstand, offenbart die Beweggründe und Gefühle der Juden, die sich zum Aufstand entschlossen. Der Aufruf zu den Waffen zeigt die wahre Verzweiflung der Widerstandskämpfer: Es gab keine andere Möglichkeit als zu kämpfen, denn „passiv in den Tod zu gehen“ galt als eine Schande. Ihre Sprache spielt auf die nationalsozialistische Propaganda an, die bekanntlich dazu aufrief, Deutschland zu erwecken („Deutschland, erwache!“). Ihre Forderung, dass kein einziger Jude mehr den Tod in Treblinka finden soll, beweist, dass die „Endlösung“ vor allem innerhalb der jüdischen Gemeinschaft weithin bekannt war.

Aufruf zum Widerstand durch die jüdische Militärorganisation im Warschauer Ghetto (Januar 1943)

Quelle

Wir erheben uns zum Krieg!
Wir gehören zu denen, die es sich zum Ziel gesetzt haben, das Volk aufzuwecken.
Unser Wille ist es, diese Parole zu unserem Volk zu tragen:
Wacht auf und kämpft!
Verzweifelt nicht an dem Weg der Flucht!

Wisst, dass der Ausweg nicht darin liegt, dass ihr passiv in den Tod geht, wie Schafe
zur Schlachtbank. Er ist in etwas viel Größerem zu finden: im Krieg!
Wer sich wehrt, hat eine Chance, gerettet zu werden! Wer die Selbstverteidigung
von vornherein aufgibt – der hat schon verloren! Auf ihn wartet nichts als ein
grausamer Tod in der Erstickungsmaschine von Treblinka.
Lasst das Volk zum Krieg erwachen!
Findet in eurer Seele den Mut zum verzweifelten Handeln!
Macht Schluss mit der schrecklichen Akzeptanz von Phrasen wie: Wir sind alle zum
Tode verurteilt!
Das ist eine Lüge!!!
Auch wir sind zum Leben bestimmt! Auch wir haben ein Recht auf Leben!
Man muss nur wissen, wie man dafür kämpft!
Es ist keine große Kunst zu leben, wenn einem das Leben willentlich
gegeben wird!
Aber es ist eine Kunst zu leben, gerade wenn man versucht, dir dieses Leben zu rauben.
Lasst das Volk erwachen und für sein Leben kämpfen!
Lasst jede Mutter eine Löwin sein, die ihre Jungen verteidigt!
Kein Vater soll schweigend seine Kinder bluten sehen!
Lass nicht zu, dass sich der erste Akt unserer Zerstörung wiederholt!
Schluss mit der Verzweiflung und dem mangelnden Glauben!
Schluss mit dem Geist der Sklaverei unter uns!
Der Tyrann soll mit dem Blut seines Körpers für jede Seele in Israel bezahlen!
Jedes Haus soll eine Festung für uns werden!
Lasst das Volk zum Krieg erwachen!
Im Krieg liegt eure Rettung!
Wer sich wehrt, hat eine Hoffnung auf Rettung!
Wir erheben uns im Namen des Krieges für das Leben der hilflosen Massen, die
wir zu retten suchen, die wir zum Handeln aufrütteln müssen. Wir wollen
nicht nur für uns selbst kämpfen. Wir sind erst dann berechtigt, uns selbst zu retten, wenn wir unsere Pflicht erfüllt haben! Solange das Leben eines Juden noch in Gefahr ist, auch nur ein einziges Leben, müssen wir bereit sein zu kämpfen!!!
Unsere Parole lautet:
Nicht ein einziger Jude mehr soll in Treblinka sein Ende finden!
Hinfort mit den Volksverrätern!
Kampf auf Leben und Tod gegen den Eroberer bis zum letzten Atemzug!
Seid bereit zu handeln!
Seid bereit!

Quelle: "Aufruf zum Widerstand durch die jüdische Militärorganisation im Warschauer Ghetto, Januar 1943", Dokumente zum Holocaust: Ausgewählte Quellen über die Vernichtung der Juden in Deutschland und Österreich, Polen und der Sowjetunion. Yitzhak Arad, Yisrael Gutman, Abraham Margaliot, Hrsg., Jerusalem: Yad Vashem, 1981, S. 303-304.

Übersetzung: Insa Kummer