Kurzbeschreibung

Die Statuten des während der Revolution von 1848/49 gegründeten Wiener demokratischen Frauenvereins erklären die Erziehung zur Demokratie zu dessen politischer Aufgabe, Bildung mit dem Ziel der Gleichberechtigung der Frauen zu seiner gesellschaftlichen und die Versorgung von Opfern der Revolutionskämpfe zu seiner humanitären Aufgabe. Männer konnten zwar bei besonderen Gelegenheiten zu Sitzungen zugelassen werden, aber nur Frauen waren wahlberechtigte Vollmitglieder. Die hier ebenfalls wiedergegebene Petition an den österreichischen Reichstag dokumentiert einen letzten (erfolglosen) Versuch zur Mobilisierung gegen die heranrückenden gegenrevolutionären Truppen.

Frauenaktivismus während der Revolution: Wiener Frauenverein (1848–1850)

Quelle

I. Statuten des ersten Wiener demokratischen Frauenvereins (1848)
Preis: 2 kr. C. M.

§ 1
Der Name des Vereines ist: Wiener demokratischer Frauenverein

§ 2
Die Aufgabe des Vereins ist eine dreifache: Eine politische, eine soziale und eine humane:
a) eine politische, um sich durch Lektüre und belehrende Vorträge über das Wohl des Vaterlandes aufzuklären, das demokratische Prinzip in allen weiblichen Kreisen zu verbreiten, die Freiheitsliebe schon bei dem Beginne der Erziehung in der Kinderbrust anzufachen und zugleich das deutsche Element zu kräftigen;
b) eine soziale, um die Gleichberechtigung der Frauen anzustreben durch Gründung öffentlicher Volksschulen und höherer Bildungsanstalten, den weiblichen Unterricht umzugestalten und die Lage der ärmeren Mädchen durch liebevolle Erhebung zu veredeln;
c) eine humane, um den tiefgefühlten Dank der Frauen Wiens für die Segnungen der Freiheit durch sorgsame Verpflegung aller Opfer der Revolution auszusprechen.

§ 3
Der Verein soll bestehen aus wirkenden (weiblichen) und unterstützenden männlichen und weiblichen Mitgliedern.

§ 4
Die wirkenden Mitglieder haben die Pflicht, nach Kräften und in aller Weise zum Besten des Vereines zu wirken. Hierbei wird auf die selbstgewählte Hauptbeschäftigung eines jeden Mitgliedes Rücksicht genommen.

§ 5
Wirkende Mitglieder zahlen im ersten Monate 30 kr., für die Folge 20 kr. C. M. monatlich, unterstützende Mitglieder monatlich 20 kr. C. M. Erstere Beiträge kommen in die Vereins-, letztere in die Unterstützungskasse.

§ 6
Jedes Mitglied erhält eine Karte mit dem Vereinssiegel, welche bei den Sitzungen vorgezeigt wird.

§ 7
Mitglieder, sowohl wirkende als unterstützende, können bloß Frauen von gutem Rufe und freisinnigem Charakter sein. Sollte wider Verhoffen ein Mitglied beigetreten sein, welches diesen Anforderungen nicht entspricht, so kann es durch Stimmenmehrheit ausgeschlossen werden.

§ 8
Herren können nur ausnahmsweise als Ehrenmitglieder bei den Sitzungen zugezogen werden, haben sich aber der Abstimmung zu enthalten.

§ 9
Weibliche unterstützende Mitglieder dürfen bei den Sitzungen erscheinen, haben sich aber der Abstimmung zu enthalten.

§ 10
Unter den Mitgliedern darf kein Standesunterschied gelten. Man sagt einfach Frau und Fräulein. Verheiratete Frauen haben vor den unverheirateten keinen Vorzug.

§ 11
Dem Vereine steht ein Ausschuß von 5 Mitgliedern (mit 3 Ersatzmitgliedern) vor, aus welchen eine permanent den Vorsitz, eine zweite das Sekretariat, eine dritte die Kasse führt.

§ 12
Der Ausschuß leitet alle Angelegenheiten des Vereines.

§ 13
Der Ausschuß hat nach 3 Monaten abzutreten, ist aber ganz oder zum Teile wieder wählbar. Durch Stimmenmehrheit kann der Ausschuß ganz oder teilweise auch früher zum Rücktritte verhalten werden.

§ 14
Die jeweilige Vorsitzerin verleiht nach der Reihe der Anmeldung das Wort und leitet die Debatte. Sie kann den Ruf zur Sache oder den Ordnungsruf nur dann ergehen lassen, wenn eine Sprecherin vom Gegenstande der Rede wesentlich abweicht, wenn sie sich Persönlichkeiten erlaubt und wenn es zur Herstellung der gestörten Debatte notwendig ist. Auf zweimaligen vergeblichen Ruf zur Sache oder zur Ordnung hat sie das Recht, der Sprecherin das Wort zu entziehen.

§ 15
Das Komitee hat in dringenden Fällen das Recht, Beschlüsse zu fassen und auszuführen, jedoch nur unter seiner Verantwortlichkeit und mit der Verpflichtung, in der nächstfolgenden Sitzung die Sache zur Beratung zu bringen.

§ 16
Die Schriftführerinnen führen das Protokoll der Mitglieder und der Gäste, der kurz gefaßten Verhandlungen und der Beschlüsse, welche veröffentlicht werden. Auch besorgen sie die Korrespondenz des Vereines und schreiben die Namen der Sprechenwollenden nach der Reihe der Anmeldung für oder wider den Gegenstand der Debatte auf.

§ 17
Jeder Antrag, der von drei Mitgliedern unterstützt wird, muß abgestimmt werden.

§ 18
Die Antragstellerin hat das letzte Wort. Sie kann wie jedes andere Mitglied während der Debatte dreimal das Wort verlangen.

§ 19
Nach geschehener Abstimmung kann keine Debatte über denselben Antrag in derselben Sitzung gestattet werden.

§ 20
Bei allen Abstimmungen entscheidet die Stimmenmehrheit. Bei Wahlen wird durch Zettel abgestimmt.

§ 21
Bei jeder Sitzung ist ein Mitglied über die Hälfte notwendig.

§ 22
Jede Woche finden wenigstens zwei regelmäßige Sitzungen statt.

§ 23
Die Bestimmungen des Lokales und der Wochentage für die Sitzungen bleibt dem Vereine überlassen.

§ 24
Plenarversammlungen, wo ⅓ der Mitglieder erscheinen, müssen bei Ausschußwahlen, Statutenveränderungen, großen Ausgaben (über 50 fl. C. M.), wichtigen Beschlüssen, welche auf das Wohl und die Existenz des Vereines Einfluß nehmen, und bei projektierter Auflösung desselben einberufen werden.

§ 25
Der Ausschuß hat das Recht, außerordentliche Sitzungen einzuberufen, so wie jedes wirkende Mitglied aufgefordert wird, bei wichtigen Gelegenheiten, wo möglich ungerufen, im Vereinslokale sich einzufinden.

§ 26
Über die Gebarung der Vereinskasse erstattet zu Ende jedes Monats der Ausschuß Bericht.

§ 27
Vierteljährig wird in einer Generalversammlung aller wirkenden und unterstützenden Mitglieder über die humanen Resultate des Vereins (mit Beziehung auf § 2. c) und die Gebarung der Unterstützungskasse ein Bericht erstattet, zu dessen Prüfung die unterstützenden Mitglieder 5 aus ihrer eigenen Mitte als Kommission ernennen.

§ 28
Alle Gesuche müssen schriftlich eingebracht, und nur Deputationen von Körperschaften können zugelassen werden.

§ 29
Plakate unterzeichnet der Ausschuß im Namen des Vereins. Adressen und Petitionen werden in einer Sitzung von allen anwesenden Mitgliedern unterzeichnet.

§ 30
Zu Deputationen schlägt die Vorsitzerin Mitglieder vor, über welche der Verein mit Stimmenmehrheit entscheidet.

§ 31
Der Verein muß es sich zur Aufgabe machen, ähnliche Vereine im ganzen Lande zu bilden, welche mit dem Wiener Vereine als Zentralverein korrespondieren.

§ 32
Für jeden Vorstadtbezirk Wiens soll eine Kommission, wo möglich aus Mitgliedern, die in dem betreffenden Bezirke wohnen, ernannt werden. Diese verstärken sich durch Gehilfinnen und gründen zu den bloß humanen Zwecken des Hauptvereines Zweig- oder Filialvereine.

§ 33
Zur größeren Bequemlichkeit des Publikums kann jedes einzelne wirkende Mitglied in seiner Wohnung Gaben jeder Art empfangen, darüber quittieren und sie sodann der Kassiererin übergeben. – Zu diesem Behufe erhält jedes Mitglied einen Subskriptionsbogen und eine gewisse Anzahl mit dem Vereinssiegel versehene Karten.

§ 34
Jedem Mitgliede steht der Austritt aus dem Vereine frei. Nur die Ausschußmitglieder haben diesen 8 Tage früher anzuzeigen. Aufnahmelokal

Kärntnerstraße Nr. 1073, 2. Stock, rückwärtige Stiege.
Caroline Perin
Präsidentin
Zu haben im Camptoir des Radikalen: Dorotheergasse
Nr. 1119

II. Aktionen, Wirkung und Zusammensetzung des Vereins (1850)

So wie die Arbeitervereine schloß sich auch ein demokratischer Damenklub an den demokratischen Verein. Derselbe wurde ungefähr im Anfange des Monats September von der Freiin von Perin, geborene Freiin von Pasqualati, gestiftet. Er zählte meines Erachtens bis 40 Damen als Mitglieder, welche dem Mittelstande angehörten. Dieser Verein setzte sich die Unterstützung der Armen und Verbreitung demokratischer Ideen zur Aufgabe. Einfluß hatte er wenig, eigentlich gar keinen. An den Fakkelzügen des demokratischen Clubs nahmen die Damen stets teil und überreichten dem Tausenau einige Male Blumenkränze als Zeichen der Huldigung. Während der Oktoberrevolution begab sich dieser Damenverein, welchem sich vielleicht 300 Mädchen anschlossen, zum Reichstage und überreichte der Reichstagspermanenz eine Petition um Einberufung des Landsturmes. Sonst ist mir von diesem Vereine nichts bekannt. Ich muß jedoch bemerken, daß es eine Lüge ist, welche man ausstreute, daß die Glieder dieses Damenvereines Freudenmädchen gewesen wären und daß sie unter der größten Ausgelassenheit am Barrikadenkampfe teilgenommen hätten. Die Barrikadenkämpferinnen waren aus der Arbeiterbevölkerung. Nach der Einnahme Wiens wurde die Präsidentin, eine schwärmerische ältliche Dame, verhaftet, jedoch bald wieder entlassen, nachdem sie mit Rutenschlägen gestäupt worden sein soll.

III. Petition zur Einberufung des Landsturmes (16. Oktober 1848)

In der Reichstagssitzung vom 17. Oktober wurde folgende Adresse durch vier Damen übergeben und sehr beifällig aufgenommen, wiewohl bekanntlich der Beschluß des Reichstags hinsichtlich des Landsturmes leider verneinend ausfiel.

Hoher Reichstag!

Die Freiheit, das Vaterland sind in Gefahr! Ein Schmerzensruf durchdringt alle Herzen, ein Gefühl belebt jede Brust!

Durchdrungen von der hohen Bedeutung unserer bedrängten Zeitverhältnisse, welche uns zum unvermeidlichen Kampfe rufen, um der Knechtschaft einer Soldatenherrschaft zu entgehen, halten wir es für unsere Pflicht, auch unsere Wünsche mit jenen unserer Brüder zu vereinen, um an einen hohen Reichstag das dringende Gesuch zu stellen, er möge mit energischer Kraft die Zügel der Regierung ergreifen, bevor es zu spät. Der Mut und die Entschlossenheit unserer Freiheitskämpfer, wir können sagen dem ganzen Volke, welches bereit ist, für die gute Sache bis auf den letzten Mann zu stehen, ist so groß, daß wir eigentlich allein imstande wären, den Feind zu besiegen. Doch lange Zögerungen wirken besonders auf halbentschlossene Menschen immer schwächend. Es wäre daher höchst notwendig, ein hoher Reichstag möge den Landsturm, der mit ungeheuren Kräften nur seines Winkes harrt, entbieten, indem, je imponierender die Macht, je größer die Streitkräfte, desto weniger Opfer würden fallen, einen Sieg zu erkämpfen, der ohnehin schon jetzt mit soviel unnütz vergossenem Menschenblute teuer genug erkauft.

Jetzt gilt es zu handeln. Jede Minute des Aufenthaltes kostet vielleicht viele Menschenleben – soweit unsere Blicke reichen, sehen wir das mörderische Geschütz sich vor uns entfalten – Vernichtung drohender Soldatenherrschaft sei unsere Losung! Wir dürfen nicht länger säumen, um jeden Preis unsere kostbaren Errungenschaften zu bewahren. O, hört unsere Warnung, unseren Hilferuf, Vertreter eines freien Volkes! Ladet nicht den Vorwurf der Mit- und Nachwelt auf Euer Haupt durch ängstliches Zögern und Beraten, wo es sich um das Wohl von Millionen handelt. Freie Männer des Volkes, beweiset, daß Ihr würdig des Vertrauens seid einer so großen Nation, und erbaut Euch ein Denkmal in den Annalen der Geschichte, das unzerstörbar. Bürger! Wir vertrauen Eurem bewährten Pflichtgefühl.

Wien, den 16. Oktober 1848
Im Namen des ersten demokratischen Wiener Frauenvereins Karoline Perin, Vorsitzerin
(und außerdem gegen 1000 Unterschriften)

Quellen: Statuten des ersten Wiener demokratischen Frauenvereins. Kriegsarchiv Wien, Zivil- und Militärgouvernement Wien. Politische Erhebungskommission. Post I. 100/155; Aktionen, Wirkung und Zusammensetzung des Vereins. Das Vereinswesen zu Wien im Jahre 1848. In: Deutsche Monatsschrift für Politik, Wissenschaft, Kunst und Leben, Hrsg. von Adolph Kolatschek, I. Jahrgang 1850, Stuttgart, S. 205f; Petition zur Einberufung des Landsturmes, Der Radikale, Wien, Nr. 106, 20. Oktober 1848, S. 426; abgedruckt in Gerlinde Hummel-Haasis, Schwestern zerreißt eure Ketten: Zeugnisse zur Geschichte der Frauen in der Revolution von 1848/49. München: Deutscher Taschenbuchverlag, 1982, S. 247–53. Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Deutschen Taschenbuchverlags, München.