Kurzbeschreibung

In dieser programmatischen Erklärung aus der ersten Ausgabe ihrer Frauen-Zeitung ermuntert Louise Otto (1819–1895) die Frauen, sich ihren Anteil am politischen Befreiungsprozess der Revolution zu erkämpfen und dabei zuallererst ihre benachteiligten Geschlechtsgenossinnen zu unterstützen. Ganz klar distanziert sie sich jedoch von den „Emanzipierten“, die Ehe und Mutterschaft schlecht machten und die „Frauen zur Karikatur des Mannes herabwürdigten“.

Frauenaktivismus während der Revolution: Louise Ottos Programm in der ersten Ausgabe der Frauen-Zeitung (1849)

  • Louise Otto-Peters

Quelle

FRAUEN-ZEITUNG
Ein Organ für die höheren weiblichen Interessen
Motto: Dem Reich der Freiheit werb‘ ich Bürgerinnen.
Begründet von Louise Otto. 1. Jg. 1849, Großenhain/Sachsen
Nr. 1 Sonnabend, den 21. April 1849

Programm

Die Geschichte aller Zeiten, und die heutige ganz besonders, lehrt: daß diejenigen auch vergessen werden, welche an sich selbst zu denken vergaßen! Das schrieb ich im Mai des Jahres 1848 hinaus in die Welt, als ich zunächst meine Worte an die Männer richtete, die sich in Sachsen mit der Frage der Arbeit beschäftigten – ich mahnte sie damit an die armen Arbeiterinnen, indem ich für meine Schwestern das Wort ergriff, auf daß sie nicht vergessen wurden! (D. i.: „Adresse eines Mädchens“ an das liberale Ministerium Oberländer, D. H.)

Dieser selbe Erfahrungsschatz ist es, welcher mich zur Herausgabe einer Frauen-Zeitung veranlaßt. Mitten in den großen Umwälzungen, in denen wir uns alle befinden, werden sich die Frauen vergessen sehen, wenn sie selbst an sich zu denken vergessen!

Wohlauf denn, meine Schwestern, vereinigt Euch mit mir, damit wir nicht zurückbleiben, wo alles um alles um uns und neben uns vorwärts drängt und kämpft. Wir wollen auch unser Teil fordern und verdienen an der großen Welt-Erlösung, welche der ganzen Menschheit, deren eine Hälfte wir sind, endlich werden muß.

Wir wollen unser Teil fordern:
das Recht, das Rein-Menschliche in uns in freier Entwicklung aller unserer Kräfte auszubilden, und das Recht der Mündigkeit und Selbständigkeit im Staat.

Wir wollen unser Teil verdienen:
Wir wollen unsere Kräfte aufbieten, das Werk der Welt-Erlösung zu fördern, zunächst dadurch, daß wir den großen Gedanken der Zukunft: Freiheit und Humanität (was im Grunde zwei gleichbedeutende Worte sind) auszubreiten suchen in allen Kreisen, welche uns zugänglich sind, in den weiteren des größeren Lebens durch die Presse, in den engeren der Familie durch Beispiel, Belehrung und Erziehung.

Wir wollen unser Teil aber auch dadurch verdienen, daß wir nicht vereinzelt streben, nur jede für sich, sondern vielmehr jede für alle,
und daß wir vor allem derer zumeist uns annehmen, welche in Armut, Elend und Unwissenheit vergessen und vernachlässigt schmachten.

Wohlauf, meine Schwestern, helft mir zu diesem Werke!
Helft mir für die hier angedeuteten Ideen zunächst durch diese Zeitung [zu] wirken! –

Ich meine nun zwar alles gesagt zu haben, was über die Tendenz dieser Zeitung zu sagen ist – aber leider muß ich denen Recht geben, welche mir zuflüstern, umgekehrt von der gewöhnlichen Redensart, „es sei mit dem Positiven nicht genug“: ich müsse auch noch Negatives hinzufügen – will hier sagen: ich müsse mich und diese Zeitung vor Mißverständnissen schützen. –

Nein!
Ich kann darüber keine Worte machen:
Ich berufe mich auf mein Leben, auf mein schriftstellerisches Wirken seit 1843 - wer etwas davon kennt, wird wissen, daß ich nicht zu den sogenannten „Emanzipierten“ gehöre, zu denen, welche das Wort „Frauen-Emanzipation“ in Mißkredit gebracht haben, indem sie das Weib zur Karikatur des Mannes herabwürdigten. Für diejenigen, die noch nichts von mir wissen, möge einstweilen die Versicherung genügen, daß ich eben durch die Tendenz dieser Zeitung dem Irrtum entgegenzuarbeiten hoffe, welcher oft gerade die begabtesten Frauen veranlaßte, ihr Streben nach geistiger Freiheit in der Zügellosigkeit der Leidenschaften zu befriedigen. –

Man wird also weder mich, noch meine mitarbeitenden Schwestern zu diesen „Emanzipierten“ werfen können, wohl aber werden wir stolz darauf sein, wenn man uns Nachfolgerinnen jener edlen Jungfrau aus Bethanien nennt, von welcher das leuchtende Vorbild aller Menschen sagte:

„Maria hat das bessere Teil erwählt!“ –

So fordere ich denn hiermit alle gleichgesinnten Schriftstellerinnen und Schriftsteller, welche für die Rechte der Frauen in die Schranken treten, auf, mich bei diesem Unternehmen durch Beiträge zu unterstützen.

Ich bitte auch diejenigen meiner Schwestern, die nicht Schriftstellerinnen sind, um Mitteilungen, zunächst die Bedrückten, die armen Arbeiterinnen, auch wenn sie sich nicht geschickt zum stilisierten Schreiben fühlen; ich werde ihre einfachen Äußerungen gern, wenn nötig, verdolmetschen – aber es liegt mir daran, daß gerade ihre Angelegenheiten vor die Öffentlichkeit kommen, so kann ihnen am ersten geholfen werden.

Alle Gesinnungsgleichen lade ich zum recht zahlreichen Abonnement ein, damit das Unternehmen gedeihen könnte!

Louise Otto

Quelle: Frauen-Zeitung, 1. Jg. 1849, Großenhain/Sachsen, Nr. 1 (Sonnabend, den 21. April 1849); abgedruckt in Margrit Twellmann, Die Deutsche Frauenbewegung im Spiegel repräsentativer Frauenzeitschriften. Ihre Anfänge und erste Entwicklung. Quellen, 1843–1889. Meisenheim am Glan: A. Hain, 1972, S. 34–35.

Frauenaktivismus während der Revolution: Louise Ottos Programm in der ersten Ausgabe der Frauen-Zeitung (1849), veröffentlicht in: German History in Documents and Images, <https://germanhistorydocs.org/de/vom-vormaerz-bis-zur-preussischen-vorherrschaft-1815-1866/ghdi:document-459> [01.10.2024].